Das „Museum Niederösterreich -Haus der Geschichte“ präsentiert seit September 2017 Inhaltliches von den ersten menschlichen Siedlungen im heutigen Niederösterreich bis in die Gegenwart. Als Österreichs „Kernland“ will Niederösterreich die Geschichte im zentraleuropäischen Raum im „Lokalkontekt“ begreifbar machen. Zum „Haus der Geschichte Österreich“ in Wien gibt es Unterschiede dort wird ab November 2018, also fast zum Ende des Gedenkjahres, die Geschichte ab Mitte des 19. Jahrhunderts dominieren.

Ein Wachturm vom eisernen Vorhang (größtes Objekt) und Fluchtflieger
Die Dauerausstellung folgt thematischen Längsschnitten und weniger einer durchgehenden chronologischen Erzählung. In elf „Bereiche“ ist die Ausstellung unterteilt, darunter Themen wie Herrschaft, Religion, Wirtschaft, Technik und Industrie, Wissenschaft und Kultur. Direkt in der Ausstellung ist aktive Vermittlung unter Einbindung des Betrachters angesagt, so zum Beispiel bei „Demokratie“ mit kleinem Nachbau des „Hohen Hauses“, sprich Parlament, sowie Wahlkabinen bringen das Thema sehr gut nahe. Ein Quiz erlaubt sein Wissen zu Demokratie in Österreich zu prüfen und gegebenenfalls zu ergänzen.
Eine gelungene Balance zwischen Texttafeln und Objekte, (über 2.000 Exponate), man hätte sich jedoch mehr Objekte aus dem reichhaltigen Fundus des Landes NÖ erwartet. Immerhin wurde 2016 unter LH Pröll die Kunstsammlung des Landes von St. Pölten nach Krems übersiedelt, wodurch im Museum Niederösterreich (Ex Landesmuseum) viel Platz geschaffen wurde. Die derzeit in Bau befindliche Neue Landesgalerie Niederösterreich im Bereich der Kunstmeile Krems wird voraussichtlich erst 2019 fertig sein.
Von kurios bis rar reichen manche Stücke: das Staatsauto von Figl, Erstdruck einer Lutherbibel aus 1545, das Schachbrett Karl Renners, das „Bonjourl“- der militärisch geschnittene Morgenrock Kaiser Franz Josephs I. – Er trug zeitlebens mehrheitlich nur Uniform-, ein Picknickset von Kronprinz Rudolph (nur sehr wenige Stücke aus der vom Land NÖ um rund 2,6 Millionen Euro angekauften umfangreichen Habsburgsammlung von Mario Plachutta) oder der „Sparsarg“ mit Bodenklappe: diese wiederverwendbare Sarg wurde unter Kaiser Joseph II. jedoch aufgrund von Protesten nur kurze Zeit eingesetzt. Das größte Objekt ist ein zehn Meter hoher Wachturm aus der Zeit des Eisernes Vorhanges.
Im ersten Stock findet man die Industrialisierung und eine leider reduzierte Darstellung des Ersten Weltkrieges (eine tiefere Didaktik hätte die Auswirkungen und Folgen bis heute besser darlegen können) hin zur autoritären Wende Zentraleuropas in den 1930er-Jahren – inklusive der vieldiskutierten Diktatur des Christlichsozialen „Ständestaates“. Bei der Zeit der NS-Diktatur wird u.a. versucht, die Mechanismen der Nazi-Herrschaft bloßzulegen: von Propaganda und Lebensborn bis hin zur pervers ausgeklügelten Logistik der Konzentrationslager. (Auch hier wäre schön gewesen die NS-Missbräuche und politischen Instrumentalisierungen der Auswirkungen des 1. Weltkrieges didaktisch noch näher aufzuzeigen). Zwei Korridore sind der Zeit nach 1945 gewidmet. Zu sehen gibt es das einzige vollständige Faksimile des Staatsvertrages (russischen Ursprungs). Darüber hängend ein Originalgemälde der Staatsvertragsunterzeichnung im Belvedere von Sergius Pauser. Dieses Gemälde ist eher unbekannt und der Stil entsprach nicht dem Geschmack der Zeit, deshalb fanden die Darstellungen von Robert Fuchs mehr Verbreitung.
Anerkennend ist die Kurzthematisierung nach dem 2. Weltkrieg der Vertriebenen „Deutschsprachigen“ etwa ein Kinderwagen vom „Brünner Todesmarsch“ 1945 nach Kriegsende (neben einem, den syrische Flüchtlinge 2015 im burgenländischen Nickelsdorf verwendeten: ein etwas „hinkender“ Vergleich, welcher lediglich die Transportmittel einst und jetzt veranschaulichen will) zu erwähnen, allerdings wurde leider nicht näher darauf eingegangen, auch nicht aus der Sicht des wirtschaftlichen Aufbaubeitrages der Vertriebenen, auch für Niederösterreich.
Dafür ist Museumsinitiator Erwin Pröll mehrfach präsent, ebenso ÖVP Granden wie LH Ludwig beim Autobahn Spatenstich, LH Pröll beim Spatenstich des Regierungsviertel in der „neuen“ Landeshauptstadt St. Pölten oder in Form des Original Mantels und der Drahtschere die Außenminister Alois Mock beim Durchschneiden des Eisernen Vorhangs getragen hat, inklusive dazugehöriges „Ikonen“ Welt Foto dieses Aktes sowie ein großformatiges Bild mit jüngerem, noch-nicht-Landeshauptmann, Pröll mit Kind im Arm und Tschechoslowakei-Fähnchen; bürgerlich doch schon „staatstragend“. Zuletzt erscheint in der Zeitleiste auch Landeshauptfrau Mickl-Leitner bei der Amtsübergabe durch den Amtsvorgänger.
Wert auf politische Neutralität wurde hingegen in der Schwerpunktausstellung zur Ersten Republik gelegt. (Bis 09. Februar fanden kleine Adaptierungs-arbeiten statt). Detailliert und vielschichtig ist das sensible Thema „Ständestaat“ aufbereitet, die Debatte um den Begriff „Austrofaschismus“ von allen Seiten mit Zitaten aus Wissenschaft und Politik beleuchtet, die sich um das umstrittene Porträt von Diktator und Nazi-Opfer Engelbert Dollfuß gruppieren. (Das Bild hing bis zur Parlamentssanierung im ÖVP- Parlamentsklub und ist nun eine Leihgabe an das Haus der Geschichte NÖ).
Erschreckend, untergriffig und ungemein pointiert erklärt die Auswahl der Wahlplakate der Zwischenkriegszeit die Feindseligkeit zwischen den großen politischen Gruppierungen. Derart radikale negative untergriffige und suggestive Wahlkämpfe hielt man mehrfach für überwunden.
Die traurige Unversöhnbarkeit der drei großen politischen Lager (Sozialdemokraten, Christlichsoziale, Deutschnationale) in Sachen Weltanschauung ließen unisono die Erste Republik letztendlich scheitern. Dass es nach 1945 funktionierte – trotz auch so mancher fragwürdiger Plakate aus dieser Zeit – lag nicht zuletzt auch am Ausgleich durch die Sozialpartner und einer einheitlichen Einsicht der späten Vernunft nach dem vielseitig erlittenem großen Leid der Diktaturen und des notwendigen Miteinander zum Wiederaufbau Österreichs zum Wohle ihrer Bürger und Bürgerinnen.
Dennoch symptomatisch Österreich hat gleich zwei Museen mit „bundesrepublikanischer“ Geschichte Österreichs in neuerer Zeit. Die relativierten Geschichtsinterpretationen von SPÖ, ÖVP inkl. „normative Kräfte des Faktischen“ (Alliierte und EU), welche offensichtlich noch lange nicht auf ein akzeptables Narrativ – nicht nur zum Thema „Ständestaat“ kommen – trotz aufarbeitender Gestaltungen durch hochkarätige Historiker. Dies drückt sich aus beim nur kurzem „anstreifen“ von heiklen Themen oder gar durch „weglassen“ von Facetten welche offensichtlich aus Sicht des heutigen Mainstreams – noch immer nicht – gesellschaftlich offen ausdiskutierbar sind oder anders gesagt, es fehlt noch immer ein gewisser Mut zur Wahrheit aus damaliger und heutiger Sicht. Diese Diskrepanz zeigt sich heute auch teilweise im politischen Geschehen Österreichs, wie auch teilweise in den offiziellen Veranstaltungen im Gedenkjahr 2018, wo manche seinerzeit leidtragende Gruppen und deren Zeitzeugen nicht vorkommen.
Fazit: Ein mehr als sehenswertes Museum mit ausgereiften und guten didaktischen Instrumenten – auch für die Jugend – äußerst interessant und anregend gestaltet. Es macht neugierig und regt nicht nur das Wissen an, sondern regt auch ein Nach – und Überdenken an. Leider nur verhältnismäßig wenig Exponate, teilweise falsch zugeordnete Texte zu den Exponaten und teilweise spärlich beleuchtet. Der NÖ Bezug ist im kontextuellen Zusammenhang sehr gut und wirklich interessant.
Ein Zeitaufwand der sich lohnt: Mindestens zwei Stunden sollte man für einen Rundgang aufbringen. Bei Vertiefung im Lesen und Nutzen der vorhandenen elektronischen Medien (mit sehr guten Aufbereitungen und Erklärungen sowie Quiz) mindestens 1,5 Stunden mehr.
Die Eintrittspreise Haus der Geschichte NÖ und Haus der Natur NÖ, nur als Kombi möglich, sind etwas hoch. Man muss ja eigentlich auch noch die Parkgaragengebühren hinzurechnen. Es gibt jedoch mehrere Ermäßigungsmöglichkeiten.
Dieser Besuchsbericht ist aus der Sicht eines politisch und geschichtlich interessierten vorgebildeten Besuchers mit altösterreichischen Bezügen verfasst. Er versucht sowohl eine Äquidistanz als auch ein Zoom und ein Hinterfragen sowie Auseinandersetzen über die Inhalte kulturell und thematisch zu berichten.
Mjpress
Bildnachweise ©: Prospekt Deckblatt und Ausstellungsbild Plakate (Museum Niederösterreich – Haus der Geschichte), Logo 100 Jahre Republik Österreich, Jahreszahlenlogo (Mjpress), Dollfuß (Mjpress), Schatten Objekte(Mjpress)